Predigt zu Lk 19,1-10, in Sankt Sophien in Hamburg am 30. und 31.10.2010
von Sr. Jordana Schmidt OP, Waldniel
„Komm herunter“
Vor ca. 10 Jahren haben wir in unserem Kinderdorf eine Fernsehmesse gefeiert. Lange vorher haben wir uns zusammengesetzt und überlegt: was wollen wir den vielen Menschen mitgeben, die vor den Bildschirmen die Messe mit uns feiern? Was von Gott, was von unserem Kinderdorf, was von Bethanien.
Wir wollten zeigen, dass ein Kinderdorf ein Dorf ist, in dem Erwachsene und Kinder zusammen eine Lebensgemeinschaft bilden. Große und kleine Menschen mit ganz unterschiedlichem Hintergrund: Schwestern, die eine Berufung zur Nachfolge Jesu im Orden haben, Mitarbeiter, die sich gerufen fühlen mit Kindern zu arbeiten und mit ihnen zu leben und Kinder, die in ihrem kurzen Leben schon sehr viele schlimme Dinge erlebt haben. Ein Dorf, in dem sich alle gesehen fühlen und gerne sind. So wie Bethanien in der Bibel der Ort war, an dem die Geschwister Maria, Martha und Lazarus zusammen lebten, die in ihrem Charakter sehr unterschiedlich waren. Martha, die „Hausfrau“ , Maria, die gerne zu den Füßen von Jesus saß und Lazarus der Freund, der krank war und von Jesus auferweckt wurde – auf Initiative von seinen beiden Schwestern. Es wird berichtet, dass Jesus immer wieder dort in Bethanien einkehrte und sich zuhause fühlte. Wir wollten also vermitteln, dass Bethanien ein Ort der Freundschaft und Gleichwertigkeit ist. Ein Ort, wo sich Jesus für jede Zeit nimmt, wo auch Menschen füreinander da sind und sich sehen. Wo du zählst – egal welche Vergangenheit du hattest und welche Berufung oder Beruf.
Da wir frei in der Wahl des Evangeliums waren, haben wir uns genau das Evangelium ausgesucht, was auch sie gerade gehört haben. Vom Zöllner Zachäus auf dem Baum, der von Jesus eingeladen wird herunter zu kommen!
Dieses Evangelium beinhaltet all das, was wir ausdrücken wollten:
• Jesus hat ein Blick für die Schwachen und Kleinen.
• Du bist wichtig in Gottes Augen
• Bei Jesus zählt nicht was du gewesen bist, sondern das Jetzt – auf das Herz guckt er.
Wir haben das Evangelium damals sehr praktisch umgesetzt. Wir bauten ein großes Baumhaus und wir hatten einen Jungen, der wie Zachäus, sich ausgeschlossen fühlte von „den anderen“: er durfte nicht mitspielen, weil er anders war, zu klein, zu dumm aus einem anderen Land kam. Er zog sich nach diesen Ablehnungen auf dieses Baumhaus zurück. Wollte nachdenken und allein sein. Wollte Abstand haben von den Menschen, die ihn nicht mitspielen lassen wollten – aus Eigenschutz. Er saß da eine ganze Weile und schaute voll Sehnsucht und Traurigkeit in die Kirche. Die Kinder in der Kirche wurden gefragt, wie der Massi – so hieß das Kind- sich denn fühlen würde. Traurig – sagte ein Kind, ausgeschlossen, vielleicht wütend und einsam. Ihnen war eine solche Situation bekannt. Wenn man sich nicht mehr traut, Unsicher ist und doch irgendwie dabei sein möchte. Wie das dann innen drin weh tut und man so gerne doch wieder bei den anderen sein möchte. Aber da ist keiner der ruft.
Aber dann haben wir ihn alle zusammen gerufen – „Massi, komm herunter!“. Ich höre es noch immer in meinen Ohren. Und Massi kam – nicht beim ersten Rufen, aber beim zweiten oder dritten. Ein paar Kinder haben ihn dann in ihre Reihe aufgenommen, wo er den Rest des Gottesdienstes mit allen feierte.
Massi hat dies nicht wieder vergessen. Und auch die Kinder nicht, die damals dabei waren. Lange danach tönte es immer wieder durch das Kinderdorf „Massi komm herunter!“.
Mir ist dies auch immer noch präsent, gerade, wenn ich dieses Evangelium höre.
Und gerne würde ich auch sie einmal mit auf so einen Baum nehmen. Stellen sie sich vor, so ein Baum steht auch hier vorne in St. Sofien. Ich würde ihnen etwas Zeit geben an Situationen zu denken, wo sie sich am liebsten auf einen Baum verzogen hätten oder darauf gedrängt fühlten. Ich habe solche schon öfters erlebt: wenn ich in eine fremde Umgebung komme und nicht weiß, ob ich willkommen bin oder nicht. Oder wenn ich unsicher bin, wie mein Gegenüber meine Einstellung, meine n neue Frisur, mein Ordensschwesterdasein oder meine Predigt findet. Da kann es passieren, dass man sich innerlich auf so einen Baum zurückzieht, weil man das Urteil oder eine Ablehnung fürchtet. Und dann kommt jemand auf sie zu. Jemand der sie willkommen heißt, liebevoll anschaut, sei mit einbezieht, ihnen ein Lob ausspricht oder was auch immer – aber der D ist und ihnen mit seinem ganzen Sein zeigt – gut das es dich gibt, ich habe Interesse an dir! Wenn das passiert, dann wird die Unsicherheit und Einsamkeit durchbrochen. Ich stehe wieder mit beiden Beinen auf der Erde. Bin heruntergeholt von meinem inneren Baum.
Wir sind meist mehr als gut ist damit beschäftigt uns darüber Gedanken zu machen, wie andere wohl über uns denken. Und dann handeln wir oft so, wie wir glauben, dass die anderen es von uns erwarten. Und eben nicht so wie wir es tun würden, wenn wir ganz frei wären.
Zachäus hat sich sicher nicht ständig auf Bäumen bewegt…auch wenn er klein war und so besser sehen konnte. Er hätte sich ja auch in den Vordergrund drängen können „lasst mich mal vorne stehen, ich bin klein“. Hat er nicht. Traute er sich nicht.
Und Jesus befreit ihn. Er sagt ganz einfach „komm herunter, ich will heute dein Gast sein“. Jesus schert sich nicht um Ansehen in der Gesellschaft. Zachäus war einer, der Geld hatte – und zwar von anderen. Einer der wusste, wie er alles zum Vorteil für sich machen konnte, weil andere vom ihm abhängig waren. Ohne Zoll keine Einfuhr.
Nur mal angenommen, Jesus würde heute hierher kommen, nach Hamburg. Und wir würden ihn erwarten. Wir würden als Christen natürlich in der ersten Reihe stehen und erwarten, dass er uns auch würdigt. Und dann kommt er, sieht über unsere Köpfe hinweg in ein Haus wo jemand aus dem dritten Stock herausschaut. Jemand, der dafür bekannt ist, dass er krumme Geschäfte macht. Und Jesus schaut hinauf – nicht auf uns und winkt ihn runter und sagt- heute möchte ich bei dir sein- ich lade mich zu dir ein. Eben nicht in die Gemeinde, wo alles vorbereitet ist und man zusammen einen Gottesdienst feiern würde- in aller Feierlichkeit- nein, er würde vielleicht einfach in diese Wohnung gehen und mit Leuten feiern, die wir vielleicht als „kirchenfern, Ganoven, Zuhälter“ oder was auch immer bezeichnen und kennen.
Undenkbar- oder? Wir wären beleidigt.
Oder vielleicht auch angerührt. Weil wir uns erinnern, was Jesus gesagt hat „nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken“ und „ich gehe dem Sünder nach“. Vielleicht würden wir auch wieder verstehen zu wem wir gesandt sind. Wer unser Nächster ist und mit welchem Blick wir unser Gegenüber anschauen wollten. Einem Blick, der nicht auf den Baum jagt, sondern herunterholt. Der nicht verurteilt, sondern ermutigt, ein anderes Leben zu leben. Der den Menschen sieht wie er sein kann, nicht wie er ist.
Das ist, denke ich die Hauptfähigkeit die Jesus besaß: den Menschen in seiner ganzen Schönheit zu sehen. Mit all den angelegten Fähigkeiten und Eigenschaften. Als Kind Gottes. Egal ob er äußerlich Obdachloser, Banker, Dominikanerin, Fernsehstar, Politiker oder Prostituierte ist. Vor Gott zählt all das nicht. Auch wenn das für uns ziemlich schwer zu begreifen ist. Weil wir uns so schnell über all das definieren – über das was wir darstellen oder eben nicht.
Vor Gott ist dies nicht wichtig. Irgendwann habe ich Gott mal als einen Maulwurf bezeichnet. Wegen seiner Unfähigkeit die Dinge zu sehen die Äußerlich sind. Er sieht und spürt nur in der Tiefe unseres Herzens wer wir sind. Danach richtet er sich aus.
Solche Maulwurffähigkeiten hat einen Zachäus vom Baum geholt und solche Fähigkeiten bei uns, schaffen es, so manchen Menschen stä
rker, schöner, phantasievoller zu machen, als er sich selbst sieh und fühlt. Wir könnten uns diese Eigenschaft von Gott abschauen. Und ich bin sicher, einiges würde sich in unserer Umgebung ändern. Goethe hat dies auch erkannt und gesagt: wenn wir die Menschen so sehen wie sie sind, dann machen wir sie schlechter, sehen wir sie aber so, wie sie sein können, dann machen wir sie zu dem, was sie sind.
Und ein Lieblingstext von mir, den ich seit der Vorbereitung auf meine Ewige Profess habe heißt:
Unsere tiefste Angst ist es nicht, dass wir unzulänglich sind.
Unsere tiefste Angst ist, dass wir unermesslich machtvoll sind.
Es ist unser Licht, das wir fürchten, nicht unsere Dunkelheit.
Wir sagen uns: wer bin ich eigentlich, dass ich leuchtend, hinreißend, begnadet und phantastisch sein darf?
Wer bist du es denn, es nicht zu sein?
Du bist ein Kind Gottes.
Wenn du dich klein machst, dient das der Welt nicht.
Es hat nichts mit Erleuchtung zu tun, wenn du schrumpfst, damit andere um dich herum sich nicht verunsichert fühlen.
Wir wurden geboren, um die Herrlichkeit Gottes zu verwirklichen, die in uns ist.
Sie ist nicht nur in einigen von uns, sie ist in jedem Menschen.
Und wenn wir unser eigenes Licht erstrahlen lassen wollen,
geben wir unbewusst anderen Menschen die Erlaubnis,
dasselbe zu tun.
Wenn wir uns von unserer eigenen Angst befreit haben,
wird unsere Gegenwart ohne unser Zutun andere befreien.
Wenn wir das verstehen würden und wenn wir diese Botschaft von allen Kanzeln und in allen Begegnungen mit Menschen und mit Kirche hören würden: Was wäre das für eine Welt!
Sr. Jordana Schmidt OP
Bilder vom Vortrag von Sr. Jordana am Sonntag nach dem Hochamt: