Die Kantorinnen von St. Sophien singen bei Bedarf auch mal die Nacht durch
Wer sich unter Kantoren einer katholischen Kirchengemeinde ernste, getragene Persönlichkeiten vorstellt, wird in Sankt Sophien enttäuscht. Denn drei ungemein aktive und temperamentvolle Kantorinnen beherrschen hier an der Gemeinde die sonn- und feiertägliche Liturgie-Szene. Und auf meine Frage, wie oft sie denn diesen ehrenamtlichen Dienst für die Gemeinde tun müssen, fragen sie empört zurück: „Müssen? So oft wir können natürlich!“
Eingesetzt sind sie in der Regel zum Hochamt am Sonntag und selbstredend an allen hohen Festtagen. „Also immer, wenn wir können und dürfen“, erklärt Marita. Und das kann dann auch mal zu ganz „unchristlichen“ Zeiten sein, wie zur Nacht der Kirchen, wenn die drei die Komplet um 23.30 Uhr mitgestalten, oder in der Osternacht, die für die Kantorinnen um vier Uhr morgens mit „Rasch-noch-mal-alles-Durchsingen“ im Konferenzraum beginnt.
Bei Bedarf werden dann auch mal Sonderschichten eingelegt, und nach einem ausgiebigen Osterfrühstück im Thomassaal geht es dann gleich im Hochamt noch mal zur Sache – mit einem abgewandelten Programm. Solche Anlässe sind natürlich die Glanzlichter im liturgischen Jahr, da sind sich die drei einig. Und nachts oder frühmorgens bei Kerzenschein zu singen hat ja immer auch was Klösterliches, findet Barbara, die neben ihren regelmäßigen Gottesdienstbesuchen in St. Sophien auch gerne mal die Stundengebete bei den Dominikanern oder in anderen Ordenshäusern mitsingt.
Die ersten Schritte machten die Kantorinnen (damals allerdings noch andere) mit Pater Bernhard Kohl. Das war vor vier Jahren. Barbara war schon ganz zu Anfang dabei, Marita kam zu Pfingsten 2006 dazu, Cassandra am darauf folgenden Christkönigssonntag. „Ich weiß heute noch mein erstes Kyrie, das ich hier gesungen habe“, erinnert sie sich an ihre Premiere in St. Sophien. Mittlerweile hat sich bei den dreien schon Routine entwickelt.
Jeden Dienstag treffen sich Barbara, Cassandra und Marita, um das Programm für die Sonntagsmesse abzusprechen, wobei die Liedtexte natürlich möglichst zu den jeweiligen Perikopen passen sollen. „Früher saß immer einer von den Patres dabei und hat uns beraten, was wir singen sollen“, erzählt Cassandra. „Inzwischen lassen die uns einfach machen, und wir suchen nicht nur unsere Vorsängerteile, sondern die Lieder für die gesamte Messe aus. Dann ändert der eine oder andere Zelebrant nur mal was, wenn ihm ein bestimmtes Lied besser zur Predigt passt.“
Mit dem Organisten Ulli Schmitz verstehen sich die Kantorinnen bestens. „Der regt sich manchmal auf, wenn wir zu unbekannte oder schwierige Lieder aussuchen, aber wir einigen uns immer“, wissen die drei zu berichten. Inzwischen bilden die Sängerinnen und der Organist auch räumlich eine musikalische Einheit, seit sie statt vom Ambo von der Empore aus singen. „Weil ihr von dort nicht mehr gesehen werdet?“ frage ich. „Nein, wegen der Akustik“, verraten sie mir. „Weil wir von da besser klingen. Und weil die Kirche von da oben noch schöner ist, als wenn man in den Bänken sitzt …“
Dass die drei in liturgisch passenden Farben gehen, hat sich mit der Zeit entwickelt. „Weil wir ja auch irgendwie zum Team gehören.“ Inzwischen haben sie auch so ziemlich alle Feiertage farblich im Kopf. „Nicht so schwierig, wenn man einmal das System kennt“, verrät Marita. Auch die zehn verschiedenen Psalmtöne kennen mittlerweile alle drei auswendig. Zwischendurch waren die Kantorinnen auch mal zu viert: zur Nacht der Kirchen 2007 kam Doris dazu, die seither auch regelmäßig die Sonntagsmessen mitsang, dann aber im Endspurt für ihr Theologiestudium nur noch wenig Zeit fand und inzwischen im Postulat bei den Franziskanerinnen in Waldbreitbach die liturgische Stimme erhebt.
„Sucht ihr denn jetzt noch Neue, oder seid ihr als Terzett vollzählig?“ frage ich skeptisch in die Runde. „Naja, die Heilige Trinität sind ja auch nur drei“, gibt Barbara diplomatisch zurück, und Cassandra fügt hinzu: „Und manchen ist das schon zuviel.“ Für mehrstimmige Stücke vor allem an Hochfesten werden aber immer noch Leute gebraucht, vor allem Männerstimmen. Obwohl ihnen mit Christoph und Clemens Hosemann zwei ebenso stimmbegabte wie inzwischen auch bewährte Kräfte zur Seite stehen. Dass die Einsätze in der Gemeinde ehrenamtlich sind, ist für die drei Kantorinnen selbstverständlich. Sie lassen sich aber auch „buchen“ – für Taufen, Hochzeiten, Beerdigungen. „Von dem Geld gehen wir dann auf Kantorinnen-Fortbildung“, erläutert Barbara ihre Pläne. „Also keine privaten Einnahmen?“ frage ich vorsichtig nach. „Na ja“, lenkt Cassandra ein, „natürlich wollen wir auch gerne mal unsere Franziskanerin Doris besuchen. Aber als Kantorinnen. Und wenn wir dürfen, singen wir da auch die Messe.“ „Weil Singen doppeltes Beten ist“, ergänzt Marita. „Und Gott loben ist ja schließlich unser Amt.“
Anja Andersen