Ghana – Deutschland: Ein Public-Viewing-Erlebnis! Wir hatten Erzbischof Dr. Werner Thissen zu Gast und schauten mit ihm und der Ghanaischen Gemeinde an Sankt Sophien.
Ob das gutgeht – ein Fußball-Weltmeisterschaftsmatch zusammen mit den gegnerischen Fans anzuschauen? Gut, der Hintergrund ist Kirche, da darf man Anstand erwarten. Aber wie schrecklich, wenn die eine Mannschaft die andere ganz fürchterlich vorführt wie zuletzt mit Nordkorea geschehen! Oder wenn die Spieler fallen wie Obst vom Himmel, in den eine gelbe, gelbrote, rote Karte nach der anderen gestreckt wird … wie soll man sich da verhalten?
Ganz anders die Stimmung, als die Fans im Thomassaal eintrudeln. Da macht sich frohe Erwartung breit, ich hole mir eine herrliche Caiprinha, die Mitglieder der „Junge Erwachsene“-Gruppe an Sankt Sophien gekonnt zubereiten. Ein Plätzchen in der vorletzten Reihe lässt sich noch finden, ich möchte ein paar Fotos machen und packe die Kamera aus – da stehen plötzlich alle auf, der Ton der Übertragung wird abgedreht und während sich dort draußen auf dem Spielfeld die Mannschaften des Abends aufstellen, singen wir hier drinnen laut und deutlich zuerst die ghanaische, dann die deutsche Nationalhymne.
Das Spiel beginnt. Bundestrainer Löw ist dick in Schal und Mantel eingepackt zu sehen, in Südafrika ist richtig Winter, hier aber erwartet uns die erste wirklich laue Sommernacht des Jahres. Ich stutze. Ich drehe mich nach hinten und frage in die Runde: Wie jetzt, die Schwarzen sind die Deutschen? Bestätigung. Ich habe enorme Schwierigkeiten, denn die Weißen, das sind die Ghanaer. Die Fifa hat es so bestimmt, dass heute die Ghanaer die Gastgeber spielen, da müssen die Deutschen eben in ungewöhnliche Farben gesteckt werden. Die Fans hinter mir haben sich sofort daran gewöhnt. Ich finde das verwirrend.
Was ich aber klar erkenne: Das Spiel ist rasant und unser neuer Torwart wird gefordert. Alle sind voll dabei. Fußballerische Fachgespräche ergeben, dass zwei Boatengs auf dem Spielfeld sind, der eine für Ghana, der andere für Deutschland, und der eine der Halbbruder des anderen. Überhaupt lerne ich viel heute. Mitgehörte Fachgespräche unter den Ghanaern sind für mich weniger ergiebig, bis auf den erhellenden Moment, als einer langen Aneianderreihung von seltsamen Lauten das abschließende Urteil folgt: „Abseits.“
In der 59. Minute reißt es mich vom Stuhl, es geht nicht anders, das muss raus: Toooooor! Ghanas Konter folgt auf den Fuß, geht aber knapp daneben. Respekt! Der einzige Fanchor des heutigen Abends wird von den Kindern angestimmt, die ganz vorne sitzen, wo auch unser Erzbischof das Spiel mitverfolgt, extra tief gerutscht, damit auch die hinter ihm alles sehen können. Er hatte mich in der Halbzeitpause aufgeklärt, worum es geht: Die Deutschen müssten mindestens ein Unentschieden erreichen, um weiterzukommen, es sei denn, eine andere Mannschaft in einem anderen Spiel gewinne. Ich fand, dann müssten die Deutschen besser ein Tor schießen. Das ist nun passiert, und Ghana hat keinen Grund aufzugeben, im Gegenteil! Am nächsten Tag lese ich irgendwo etwas in der Richtung, die Zitterpartie habe die Schwäche Deutschlands gezeigt. Aber vielleicht hat auch Ghana einfach eine richtig gute Nationalmannschaft?
Der Schlusspfiff kommt, die deutschen Fans freuen sich, die ghanaischen Fans verharren noch kurz in ungläubiger Enttäuschung. Aber man gratuliert ihnen zu ihrer Mannschaft, das ist angemessen, und da löst sich die Spannung. In der allgemeinen Heiterkeit bittet Bischof Werner noch einmal um Gehör, um zu sagen: „Nur drei Worte: Freundschaft – Ghana – Deutschland!“
Ich erfahre erst später, dass Ghana auch weitergekommen ist. Weil in einem anderen Spiel eine andere Mannschaft gewonnen hat.
Perfekt.
Christiane Christiansen