PROGRAMM
Mit einem Wortspiel fordert Pater Thomas OP alle Gäste, Christinnen und Christen im Gotteshaus auf, sich etwas zuzumuten, sich etwas zuzutrauen. Es solle kein „candle-light“-Abend werden, sondern eine Herausforderung, die Gottverbundenheit zu realisieren. Diese eindringlichen Worte waren ein weiterer Hinweis darauf, dass dieser Abend anders werden würde als die vorherigen. Die Psalmen, der Hymnus und der Weihrauch sollten an diesem Abend nur zeitweilig ihre einhüllende Wirkung entfalten dürfen.
Schon zu Beginn stimmte der Kammerchor Musica Viva mit Werken von Heinrich Schütz bis Trond Kverno auf eine neue mystische Nacht ein. Der relativ hell erleuchtete Kirchenraum unterstrich die Konzertatmosphäre. Den kunstvollen Gesängen folgerte der direkte Zwischenapplaus. Clemens Bergemann und seine Sängerinnen und Sänger ist es jedoch zu verdanken, dass ihre Gäste sich auf eine erste Wanderung durch ihre Seelenlandschaft machen konnten. Ab 21 Uhr übernahm dann das Ensemble theaterderstille.de die Aufmerksamkeit des Publikums. Die drei Darstellerinnen und zwei Darsteller haben mit Meister-Eckhart-Zitaten erreicht, dass Menschen aufgerüttelt, aufgerufen und teilweise verstört wurden in ihrem bisherigen Gottesverständnis. Einige Zitate gehörten damals vor 700 Jahren wie auch heute noch zu den kaum aussprechbaren Glaubensansichten: „Der Mensch ist was er liebt: Liebt er einen Stein, ist er ein Stein, liebt er einen Menschen, ist er ein Mensch, liebt er Gott, … hier wage ich nicht weiter zu sprechen“.
Meister Eckharts Aussagen sind auf keine einfache Formel zu bringen. Damals haben seine Kritiker versucht, ihn der Häresie zu bezichtigen. Heute ist Meister Eckhart rehabilitiert. Die lectio divina des Ensembles setzte seine Aussagen in ein künstlerisches, realitätsverwandtes Geflecht: Ein Rufer versucht die Menschen wachzurütteln. Durch vielerlei Störungen, teilweise durch ihn selbst verursacht, wird er kaum verstanden. Antworten bleiben aus. Hohe und grelle Töne verweben sich zeitweise mit raumfüllenden tiefen, gesungenen Tönen. Eine sanfte Frauenstimme eröffnet tiefe Einsichten Meister Eckharts, als sei sie nicht von dieser Welt.
In welcher Atmosphäre leben wir? Haben „Rufer in der Wüste“ bei uns eine Chance? Sind wir in der Lage im gleißenden Licht der Gegenwart, Gott wahrzunehmen? Der Film von Christiane Christiansen „Das EWIGE Licht leuchtet JETZT“ hat dazu aufgefordert. In sehr langen, ruhigen Einstellungen hat sie das Ewige Licht aus verschiedenen Hamburger Kirchen gefilmt und damit auf ein kaum noch wahrgenommenes Licht fokussiert. Im Wechsel dazu hat sie das Licht leuchten lassen durch Menschen, durch das Sonnenlicht, durch Tiere, durch Großes und Kleines, Trauriges und Fröhliches. Ein tröstlicher Film, der die Lichtvorstellungen mit Gotteserfahrungen in der Gegenwart verbindet.
Wer bis soweit in der Kirche den Eindrücken gefolgt war, hat sich spätestens jetzt im Kirchencafé eine Pause gegönnt. Das Kirchencafe in der Pausenhalle der Sankt Sophienschule war besonders an so einem regnerischen Abend wohltuend.
Nach der feierlich, gesungenen Komplet und dem sakramentalen Segen wartete der Gospel-Chor der Ghanaischen Mission auf seinen Einsatz. Während in den meisten anderen Kirchen schon die Lichter ausgegangen waren, setzte Sankt Sophien zur Mitternacht zum fulminanten und frohen Schlussakt an, als habe ein „Feuerwerk“ als Lichtzeichen noch gefehlt.
19.09.2010 Uschi Freese