Zusammen mit Herrn Kruse, dem Initiator und Mitgründer des Vereins zur Förderung der Kirchenmusik, darf man hoffnungsvoll in die Zukunft blicken und auf viele weitere wunderbare Konzerte gespannt sein …
Als ich erfuhr, dass es ein ganz besonderes Ehepaar an Sankt Sophien gibt, dem die Gemeinde viel zu verdanken hat, machte ich mich schnell auf den Weg, um sie um ein Interview für den Sankt Sophien-Spiegel zu bitten. Frau und Herr Kruse belegen wohl unter den am längsten an Sankt Sophien weilenden und aktiv tätigen Gemeindemitgliedern einen der ersten Plätze, wenn nicht Platz eins. 50 Jahre ist es nun her, als sie der Gemeinde beitraten, um sie nie wieder zu verlassen.
Ich hatte das große Vergnügen bei ihnen zu Hause eingeladen zu sein. Was mich erwartete, war eine wunderschöne Wohnung mit einem großen salonartigem Zimmer, das am anderen Ende einen Ausblick auf einen wunderbaren Garten bietet. Orchideen schmücken das große Fenster, durch welches Frau und Herr Kruse beim Frühstück oder Familienbesuch ihre Blicke in die Natur schweifen lassen, um dort einiges immer wieder zu entdecken und bewundern: Eichhörnchen, die rauschenden Bäume, Blumen und nicht zu vergessen den Weihnachtsbaum, der dort alljährlich geschmückt wird. Kurz gesagt, man fühlt mich gleich sehr wohl und geborgen bei Kruses, was nicht zuletzt an deren sehr warmer Ausstrahlung und herzlichen Art liegt.
Erstaunt war ich beim Anblick eines zweiten Zimmers, in dem sich Papiere und Akten auf Tischen türmten, daneben ein Laptop und ein blinkendes Faxgerät, zwei Telefone und alles weitere, was man für einen normalen Arbeitstag im Büro braucht. Es war klar: hier roch es nach viel Arbeit! Ich erlaubte mir die Bemerkung „Herr Kruse, Sie sind längst pensioniert, was passiert denn hier überhaupt?“, woraufhin Herr Kruse gleich entgegnete: „Nach der Pensionierung fängt die Arbeit erst richtig an! Jetzt habe ich viel mehr zu tun als vorher. Man muss ja irgendwie jung in Kopf, Geist und Seele bleiben“. „Jung“ ist hier, wie mir schnell auffiel, das richtige Wort, um die beiden am besten zu beschreiben, denn so einem jung gebliebenen Geist begegne ich, auch wenn ich sonst mit viel jüngeren Menschen zu tun habe, sehr selten. An dieser Stelle darf angemerkt werden, dass Herr Kruse 90 und Frau Kruse 89 Jahre alt sind.
Wie ich von Frau Kruse hörte, wurde das Esszimmer zum Büro umfunktioniert und was es damit auf sich hat, sollte ich auch später erfahren.
Auch wenn man lange nicht alles aus dem Leben von Herrn Kruse in diesem Artikel unterbringen kann, wird mir schnell klar, wie intensiv alle Momente von ihm erlebt wurden, da er von ihnen erzählt, als wäre es gestern gewesen. In einem anderen Artikel wurde Herr Kruse als „Hanseat mit dem ‚Ruhrpott’ im Herzen“ bezeichnet, denn er stammt gebürtig aus Essen. Nach einer Ausbildung zum Kaufmann in Gelsenkirchen und nach einer bestandenen Kaufmannsgehilfenprüfung bei der Industrie- und Handelskammer zu Bochum, wurde Herr Kruse am 01.04.1939 zum Reichsarbeitsdienst eingezogen und anschließend nach dem Ausbruch des Krieges zur Wehrmacht überführt. Besonders prägend waren natürlich die Kriegsjahre, welche dann zu einer vierjährigen russischen Kriegsgefangenschaft führten. In diesen schwierigen Zeiten des Lebens unter menschenunwürdigen Verhältnissen hielt Herrn Kruse der Glaube an Gott als kraftspendende Quelle am Leben: “Ohne den Glauben und das Gebet hätte ich die Gefangenschaft nicht überstanden. Der Glaube ist von unschätzbarem Wert. Ich habe den Rosenkranz immer in der Tasche gehabt. Die Russen haben ihn mir nicht weggenommen. Erst in der DDR nach meiner Entlassung musste ich ihn abgeben“, erzählt Herr Kruse eindringlich.
Diese Zeit schildert Herr Kruse sehr detailliert. Was mich sehr beeindruckte, ist, dass er das russische Wachpersonal, von dem er gefangen gehalten wurde, sehr oft in Schutz nahm und ihm nie die Schuld zuweisen würde, da sie ja lediglich Ausführende von Befehlen waren.
Nach der Gefangenschaft sollte Herr Kruse sich in Deutschland beim Gesundheitsamt melden und sich einen Krankenschein besorgen . „Steht das Haus der DAK überhaupt noch da?“, stellte sich Herr Kruse als Frage. Was dann passierte, sollte sein ganzes weiteres Leben bestimmen. Denn genau in diesem Haus lernt er eine gewisse Dame, die zukünftige Frau Kruse kennen, welche zu der Zeit bei der DAK im Außendienst arbeitete. „Stellen Sie sich vor, ich wäre nicht in der DAK gewesen!“ Es war wohl Liebe auf den ersten Blick. Ein Jahr später heirateten die beiden und sind nun stolze 60 Jahre miteinander verheiratet.
Einer ganz neuen, großen und unerwarteten Herausforderung musste sich Herr Kruse stellen, als er zum Chemiekaufmann ausgebildet werden sollte. „Von den Süßwaren zur Chemie“ erzählt er, da er vorher bei der „Sapora“ Bonbonfabrik als stellvertretender Verkaufsleiter gearbeitet hatte.
Versetzt in das Verkaufsbüro Hamburg, war dann Herr Kruse bis zur Pensionierung als stellvertretender Verkaufsleiter eines Chemiekonzerns tätig und war dort für den gesamten norddeutschen Raum zuständig. Gleich als er in Hamburg angekommen war, trat Herr Kruse dem Katholischen Kaufmännischen Verein bei, welcher ihm ein „heimatliches Gefühl“ bescherte: „Als Westdeutscher, also als ‚Fremder’, war es schwierig sonst Kontakte zu knüpfen und Menschen kennenzulernen“, erzählt er.
Sankt Sophien ist im Laufe der Jahre dem Ehepaar so ans Herz gewachsen, dass sie auch nach ihrem Umzug 1981 in ein anderes Gemeindegebiet der Gemeinde treu geblieben sind. „Unser Herz schlägt für Sankt Sophien und da bringt uns auch keiner weg! Wenn ich in Sankt Sophien bin, dann fühl ich mich wie zuhause“, wendet Frau Kruse ergriffen ein.
Dieses große Herz zeigt sich dann auch in den zahlreichen Aktivitäten des Ehepaars für die Gemeinde. Um den Kirchenchor an Sankt Sophien finanziell zu unterstützen, schlug Herr Kruse 1983 vor, einen Verein zur Förderung der Kirchenmusik an Sankt Sophien zu gründen. Er selber wurde, gleich nachdem er seine Zeit im Kirchenvorstand an Sankt Sophien beendet hatte, zum Schatzmeister des Vereins gewählt, der er bis heute noch ist. Bevor ich weiter Fragen stellen kann, flitzt Herr Kruse in sein Arbeitszimmer, um mir stolz den Ordner mit den Gründungsformularen zu zeigen. Ich erfahre erst jetzt, was für ein großes Geschenk der Verein eigentlich für die Kirche ist, denn sämtliche wunderbaren Konzerte mit bekannten Musikern, die aus Deutschland und der ganzen Welt (Paris, Moskau, Warschau, dem Vatikan etc.) eingeladen werden, werden durch diesen Verein organisiert und finanziert. Man kann hier auch von der Zusammenarbeit „Schmitz & Kruse“ sprechen, denn in diesem Zusammenhang ist auch die Arbeit des Sankt Sophien Organisten Ulrich Schmitz hervorzuheben, der alle Kontakte zu den Musikern herstellt und somit die Konzerte überhaupt erst ermöglicht.
Auch die Qualität der Konzerte ist zu bewundern „Wir besetzen auf dem Gebiet der Konzerte in der ‚Bundesliga’ den ersten Platz! Zumindest in Norddeutschland. Aus der Asche sind wir hervorgegangen und haben nun das erreicht, worauf wir seit 1983 mindestens zwei bis drei Jahre hingearbeitet haben“, fügt Herr Kruse hinzu. Nun erklärt sich das vorher schon erwähnte volle Arbeitszimmer von alleine.
Natürlich ist auch jeder dazu eingeladen, dem Verein beizutreten und ihn auf diese Weise zu unterstützen. Die Kirche ist erstaunlicherweise bei Konzerten selten ganz voll, auch wenn sie sich zahlreicher Gäste erfreut, also an dieser Stelle noch mal ein Aufruf an alle, sich solche oft hochkarätig besetzten Konzerte zu sehr niedrigen Eintrittspreisen in Zukunft nicht mehr entgehen zu lassen!
Und wer bislang gedacht hat, dass es das Klönen nach der Sonntagsmesse schon immer gegeben hat, der täuscht sich! Denn ganz nebenbei erfahre ich, dass dies auch von dem Ehepaar Kruse initiiert wurde, die nach der Messe noch gerne Zeit mit den Gemeindemitgliedern und damals Pater Rensing verbringen wollten. Um nicht vor der Kirche auch oft im Regen und in der Kälte stehen zu müssen, wurde ein Raum für das Miteinandersein organisiert. Also auch an dieser Stelle einen großen Dank an die Ideenstifter!
Zum Schluss erfahre ich, mit welch großem Engagement und Freude Frau Kruse als Mitglied in der Frauengruppe an Sankt Sophien, damals „Die moderne Frau“ genannt, tätig war. Ein ganzes Album mit Fotos und Zeitungsartikeln ist in den Jahren darüber zustande gekommen und man könnte locker zwei weitere Artikel darüber schreiben.
Als Ausblick für die Zukunft wünscht sich Herr Kruse die 100 Jahres-Grenze zu erreichen, aber das liegt alles in der Hand Gottes, wie er sagt: „Das wichtigste ist die positive Einstellung“. Ich bin sehr dankbar, dass ich hautnah Frau und Herrn Kruses positive, heitere jugendliche und lebensbejahende Einstellung erleben durfte, die mich selber dazu einlädt, hoffnungsvoll und vom Leben begeistert in die Zukunft zu blicken.
Ewelina Palej