Das große Staunen

Am Samstagabend bereitete Prof. Wolfgang Seifen der Stadt Hamburg eine Sternstunde der Orgelmusik. Sein Improvisationskonzert war das Herzstück der Feierlichkeiten zum zehnjährigen Jubiläum der Sauer-Orgel in Sankt Sophien. Etwa 150 Zuhörer kamen und waren begeistert.

Wolfgang Seifen ist ein international bekannter Meister an der Orgel und besonders berühmt für seine Improvisationskunst. Das Improvisieren sei für ihn wie ein Kampf, sagt er vor dem Konzert dem Kameramann Matthias Beran. Und er fragt ihn, was die Leute von ihm erwarten. – Nun, dass er der Gemeinde in einem einstündigen Konzert zeige, was in der Orgel steckt. – „Eine Stunde? Das schaffe ich wohl nicht.“ Nicht, dass er meinte, so lange könne er nicht ohne Noten spielen. Die Zeit ist einfach zu knapp bemessen für das, was er vorhat. Es ist ein Glück, dass er sich nicht an die Vorgabe hält.

Das Publikum erwartet der seltene Luxus, dem Organisten beim Spielen zuschauen zu können. Eine Kamera ist auf den Spieltisch der Orgel gerichtet und überträgt per Laptop und Beamer die Bewegungen der Hände auf den vier übereinander liegenden Tastaturen. Wenn die Kamera zurückfährt, sieht man auch, wie der Oberkörper mit der Musik mitgeht. Immer wieder erklingt ein Thema, das keine der beiden Hände spielt und man erinnert sich, dass das Orgelspiel auch Beinarbeit ist.

Präzise und flink hüpfen und tanzen diese Hände. Das Erlebnis des Zuschauens und Hörens hat etwas Unwirkliches an sich. Die Hände sind mitunter so unglaublich schnell, dass die Übertragung, obschon sie zwischen Orgelboden und Leinwand keinen langen Weg hat, nicht mitkommt und die Bewegung verwischt.

Das Ohr vernimmt nie zuvor Gehörtes. Seifen ist laut Booklet einer seiner CDs bekannt dafür, dass einer von ihm „traktierten“ Orgel gelegentlich „die Luft wegbleibt“. Dies ist bei der größten Orgel des Erzbistums nicht zu fürchten – wohl aber beim Zuhörer. Als das erste Stück gespielt ist, drehen sich viele Leute um und schauen so erstaunt wie freudig nach oben. Es ist ein atemberaubender Beginn.

Manches mal reißt die Zuhörerin unwillkürlich die Augen auf – unter den Füßen vibriert der Boden, kurz bevor eine beschauliche Liedmelodie erklingt. Später ertönt unvermutet eine Fuge, barock und doch modern. Zum Schluss spielt Wolfgang Seifen der Orgel ein Ständchen in der ihm eigenen Art, vereinzelt und wie zufällig erst taucht das Thema auf, dann wird immer deutlicher, zu welchem

bekannten Lied er hier improvisiert: „Zum Geburtstag viel Glück!“