Vor zwei Jahren packten neben einigen anderen Freiwilligen auch Edith und ich Weihnachtspakete für das Partnerprojekt unserer Pfarrei St. Sophien in Liepaja/ Lettland. Die Geschenke waren für die Kinder im „St. Martin de Porres-House“ gedacht. Tobi, heute stolze acht Jahre alt, hatte ganz freiwillig seine Teddys und anderes Spielzeug für die fremden Kinder gestiftet und packte jetzt mit hochroten Wangen mit.
„Ein Einzelkind stelle ich mir immer eher egoistisch vor …“ Edith unterbricht mich. „Tobias war von Anfang an mit anderen Kindern zusammen – sei es in der Nachbarschaft, im Spielkreis, später im Kindergarten. Er sollte nicht isoliert aufwachsen.“ Einordnen – nicht unterordnen. Das ist der Erziehungsgrundsatz von Edith Koch.
„Du hast für Tobi deinen Beruf als Fremdsprachensekretärin aufgegeben. Wie hast du den Wechsel erlebt – von der erfolgreichen Berufsfrau zur Hausfrau?“ „Positiv“, ist die Antwort der jetzt fast 50-Jährigen. „Ich kann die einzelnen Entwicklungsphasen meines Sohnes auf diese Weise ganz bewusst miterleben. Das ist ein großes Geschenk. Die ersten Jahre eines Kindes sind entscheidend: Kinder brauchen Zeit, Zuwendung und Zärtlichkeit, um sich gesund an Leib und Seele entwickeln zu können.“ „Hast du neben der Veränderung in deinem Leben auch eine wichtige Veränderung an Dir in den letzten Jahren feststellen können?“ will ich wissen. Edith denkt nicht lange nach. „Ich habe gelernt, geduldiger zu sein – nicht mehr so sehr nur auf Termine fixiert wie früher im Beruf. Das Kind hat eigene Bedürfnisse und eine eigene Zeitschiene. Ich habe gelernt, darauf einzugehen.“ Heute lässt Edith – anders als früher – auch schon einmal zu Gunsten der Familie eine Arbeit ruhen. Das wäre ihr früher nie eingefallen. „Im Beruf“, erzählt sie mir, „habe ich immer unter Druck gestanden. Alles musste klappen, möglichst schnell. Ich habe reagiert wie eine Maschine.“ Tobi hat ihr beigebracht, sich Zeit zu nehmen und sich auf das heranwachsende Leben zu konzentrieren.
So sehr Edith Koch heute auch für ihre Familie aufgeht, so hat sie sich doch ein Stück Eigenleben bewahrt. Aufgeschlossen, wie sie nun einmal ist, engagiert sie sich nach wie vor ehrenamtlich in der Pfarrei St. Sophien. Sie mischt im Bereich Obdachlosenbeköstigung mit und hilft regelmäßig beim Kochen für Bedürftige. Oft steht sie bei den Kirchenkonzerten auch als Kassiererin zur Verfügung.
Doch nicht nur das: 1993 zum ersten Mal in den Kirchenvorstand gewählt, gehörte sie anschließend viele Jahre dazu. Von 1994 bis 2006 war sie neben der Kirchenvorstandsarbeit auch im Pfarrgemeinderat aktiv. Für den Ausschuss Mission, Entwicklung und Frieden, in dem sie ebenfalls viele Jahre mitarbeitete, hielt sie von 2004 bis 2007 mit den Gemeindepartnern in Liepaja/ Lettland Kontakt über E-Mail. In den Jahren davor trug sie die Partnerschaftsarbeit von St. Sophien mit Orissa und Andhra Pradesh in Indien aktiv mit.
Der Umzug in einen anderen Gemeindebereich brachte es mit sich, dass Edith und ihre Familie nicht mehr ganz so oft wie früher nach St. Sophien kommen. „Heute mache ich nur noch im Kindergartenausschuss der Gemeinde mit.“ „Ganz also konntest du dich nicht von St. Sophien trennen?“ frage ich. „Wieso nicht?“ Edith ist eine sogenannte ‘geborene St. Sophianerin‘. Sie machte das ganze Programm durch: Taufe, Schule, Kommunion, Firmung, sie heiratete in St. Sophien und ihr Sohn wurde hier getauft. Ihre Eltern waren 1957, zwei Jahre vor Ediths Geburt, aus Nordrhein-Westfalen nach Hamburg gekommen – und nehmen seither auch aktiv am Gemeindeleben teil. Das prägt.
Eine moderne Frau von heute, die ihre Umwelt und die Realität um sich herum nüchtern wahrnimmt. „Wie passt das zusammen mit dem aktiven kirchlichen Engagement in der Katholischen Kirche?“ möchte ich wissen. Doch für Edith gibt es da keinen Widerspruch. „Ich denke nicht in Schubladen.“ erklärt sie fröhlich – und gleich darauf wieder ganz ernst: „Für mich gibt es keine Abgrenzung zwischen dem Computerzeitalter, Rationalität – Emotionalität, Nächstenliebe und Menschlichkeit – gelebte Religiosität steht dazu in keinem Widerspruch.“
Und während sie das sagt, sehe ich in Gedanken ihren Sohn Tobias vor mir, als er vor zwei Jahren, gerade sechs Jahre alt, ebenso strahlend wie seine Mutter beim Packen der Pakete für das St. Martin de Porres-House erzählt: „Meine Teddys reisen jetzt weit weg zu den anderen Kindern. Die können dann mit ihnen spielen und freuen sich darüber.“
Anja Andersen