Über eine kleine Geschichte von Gott referierte Manfred Lütz in der Sankt Sophien-Kirche
Barmbek (kst). In einer Kirche gibt es eigentlich selten Grund zur Heiterkeit. In St. Sophien Barmbek war das jetzt ganz anders: Der Bestsellerautor Manfred Lütz hielt einen launigen Vortrag, der die rund 100 Zuhörer immer wieder zum Lachen brachte, aber auch zum Nachdenken anregte.
Sein frei gehaltenes Referat war ein Parforceritt durch seine Bücher „Gott – eine kleine Geschichte des Größten“ und das gerade erschienene „Wie Sie unvermeidlich glücklich werden“.
Nicht nur durch seine Brille und seinen weißen Rauschebart erinnert der Psychiater, Kabarettist und katholischer Theologe, Chefarzt des Alexianer-Krankenhauses in Köln an den unvergessenen Kabarettisten Hanns Dieter Hüsch, sondern auch durch seine Sprechweise und seinen sarkastisch-direkten rheinischen Humor. Über eineinhalb Stunden lang reihte Lütz eine Anekdote an die andere, Bonmots wechselten sich ab mit scharfer Gesellschaftskritik, er zitierte Philosophen und andere Persönlichkeiten der Geschichte von Sokrates und Augustinus über Galileo Galilei bis Ulrich Beck und Jürgen Habermas.
Der Psychiater kritisierte, in der Gesellschaft herrsche die Überzeugung vor, es sei entscheidend, viel zu besitzen und dass mit Geld Glück machbar sei. Ein Mann wie Dieter Bohlen werde als „Poptitan“ bewundert, „nur weil er aus heißer Luft Kohle macht“. Immer mehr gehe das Bewusstsein verloren, dass Leid zum Leben gehöre.
Lütz zitierte den Existenzphilosophen Karl Jaspers, der lehrte, dass erst das Bejahen von „Grenzsituationen“, also vom Erleben von Leid, Schuld, Schicksal, Kampf, die Erfahrung der Transzendenz ermögliche.
Im Mittelalter habe der Mensch länger gelebt als heute, rief der Referent seinen überraschten Zuhörern zu – weil für ihn der physikalische Tod nur der Durchgang zum ewigen Leben gewesen sei. Heute sei das Leben für die meisten Menschen „zusammengeschnurrt auf diese kurze irdische Lebenszeit“. Der Tod aber sei „der Todfeind dieser Gesundheitsgesellschaft“.
Lütz berief sich auf Kant, der bei jedem Menschen ein Empfinden für Moralität vorausgesetzt hatte, und zitierte einen berühmten Satz Dostojewskis:
„Wenn es keinen Gott gibt, ist alles erlaubt.“ Für einen Wirtschaftsboss sei Atheismus ganz wunderbar, weil er ihn im Grunde von jedem Zwang zur Rücksichtnahme freispreche.
Wer wie etwa Nietzsche den Atheismus bis in die letzte Konsequenz denke und lebe, habe kein Argument mehr gegen Hitler und Stalin.
Der Autor ließ es sich auch nicht nehmen, Wissenschaftler wie Blaise Pascal und Max Planck zu erwähnen, für die Naturwissenschaft und Glaube einander nicht ausschlossen.
Am schlüssigsten wirkte aber noch sein Bezug auf Kinder: „Kinder sind keine Atheisten, nie!“, sagte er. Denn Kinder lebten „in einer selbstverständlich sinnvollen Welt“, sie nähmen die Welt in einer ganzheitlichen Perspektive wahr.
Quelle: Neue Kirchenzeitung vom 22. November 2015