Armut endet nicht an Weihnachten

Es ist ein typischer Hamburger Schmuddel Wintertag, mit Regen statt mit Schnee, als ich mich mit Jutta treffe.  Ich überreiche ihr eine Karte für das Tim Mälzer Weihnachtsessen für Obdachlose welche eine ehrenamtliche Helferin besorgt hat. Fast vorsichtig frage ich ob ich sie noch auf einen Kaffee und Stück Kuchen einladen darf. Sie stimmt zu und so sitzen wir ein paar Minuten später im warmen mit einem Tässchen Kaffee und einem Stück Marzipan Torte und kommen ins Plaudern.

Jutta ist nur ein Gesicht von schätzungsweisen über 1.000 Obdachlosen in Hamburg. Genaue Zahlen gibt es nicht. Gerade bei Frauen gibt es die verdeckte Wohnungslosigkeit. Frauen ohne festen Wohnsitz kommen oft bei Freunden und Bekannten auf Zeit unter. Aber immer geht das nicht deshalb übernachtet auch Jutta momentan in einem Zelt, bei derzeitigen -3 Grad in einem Hamburger Park

. …Oh Tannenbaum…..

Jutta erzählt aus ihrem Leben und ich höre gebannt zu. Gebannt, weil ihre Geschichte so gar nicht in das typische Klischee passt das viele Menschen über Obdachlose sorgfältig pflegen wie zum Beispiel selbstverschuldete Arbeitslosigkeit, Alkoholsucht, Konsumschulden etc. Wobei, wer mag ver/urteilen welchen Weg jeder, aus welchen Gründen auch immer wählt? Ich frage sie ob sie noch genug Lebensmittel hat und fast ein wenig Stolz erzählt sie mir von ihrem Kühlschrank. Im ersten Moment bin ich etwas verdutzt und frage noch einmal nach. Ja, sie habe einen unterirdischen Kühlschrank, genauer gesagt eine Box in der sie ihre Lebensmittel aufbewahrt. Momentan ist die Spendenbereitschaft einfach riesig.

….Alle Jahre wieder…..

Überall gibt es Weihnachtsaktionen für Obdachlose denn man möchte sein Weihnachtsfeeling gerne auch mit den ärmsten der Stadt teilen und so werden zum Teil die Jungs & Deerns mit Kleidung, Essen und guten Wünsche überhäuft. Dann wird Jutta fast ein wenig traurig, sie würde sich wünschen, dass die Hilfsbereitschaft auch über Weihnachten hinaus anhält.
Ich denke darüber nach und in der Tat schießen ab November sämtliche Hilfsangebote wie Pilze aus den Böden die aber schlagartig nach Weihnachten wieder verschwinden. Neben zahlreichen ehrenamtlichen Hilfsorganisationen die ganzjährig auf der Straße verteilen, gibt es auch die Saison Helfer die einen Blick für die Obdachlosen in der Weihnachtszeit haben. Mit Abbau der Weihnachtsmärkte ist die Saison dann aber oft beendet.

…fröhliche Weihnacht überall…..

Jutta und ich verlassen nach drei Stunden Geplauder das Cafe und gehen zusammen zur U-Bahn Station. An einer Ampel greift sie plötzlich in einem Blumenkübel und holt zwei Plastikflaschen heraus. Prima, das sind € 0,40 freut sie sich. Ich fühle mich ein wenig beschämt und versuche die Situation zu überspielen. Juttas Freude fällt auch anderen Passanten auf die an der Ampel warten. …oh du fröhliche….
Zufälligerweise müssen wir mit derselben Bahn fahren. Ich zu meiner kuscheligen Wohnung und sie zur ihrem Zelt irgendwo draußen in einem Park. Eine surreale Situation. Wir überqueren den Weihnachtsmarkt und Jutta zeigt mir „gefühlt“ an jeder Ecke die Platten (Schlafplätze) der Obdachlosen.  Später, wenn die Weihnachtsmärkte schließen und die Innenstadt zur Ruhe kommt, werden Menschen in einer reichen Stadt wie Hamburg in Häuserecken schlafen bei -3 Grad. ….stille Nacht…
Ich merke wie meine Füße langsam gefrieren, traue mich aber nichts zu sagen und bin froh als wir in die sehr gut beheizte U-Bahn steigen. Um uns herum fröhliche Menschen mit Einkaufstüten und einige sind sichtlich angeheitert vom Bummel über den Weihnachtsmarkt.

…morgen kommt der Weihnachtsmann….

Wir verlassen den Tunnel und auf einmal zeigt mir Jutta aus unserem Waggon heraus die vielen „Schlafplätze“ die sich unter den U-Bahn Brücken befinden. Es ist eben ein „Armuts“ Netzwerk und über viele Ecken kennen sich die Verlierer der Gesellschaft auch untereinander.
Sie berichtet mir auch von zwei Kindern (9 Jahre und 13 Jahre) die freiwillig auf der Straße leben. Das erscheint mir doch ein wenig absurd und ich frage nochmal, fast empört nach, wie können denn Kinder freiwillig mit 9 Jahren auf der Straße leben?! Sie schweigt, aber ihr Blick spricht Bände.

…Ihr Kinderlein kommet….

Sie sollen aber von einer Sozialarbeiterin betreut werden. Na, denn….. mein Kopf ist jetzt doch am rattern und die gewohnte Bahnstrecke erscheint auf einmal gar nicht mehr so monoton, sondern eröffnet mir eine völlig neue „unsichtbare Welt“. Wir nähern uns langsam unserem Zielbahnhof an dem wir beide aussteigen werden.

 ….driving home for christmas…..

Zwei Stationen vor dem Aussteigen reden wir noch kurz über unsere E-Mail Adressen. Jutta schaut in der Uni immer in ihrem E-Mail Account und berichtet mir wie ein paar Studenten ihr beim Einrichten geholfen haben. Neben den oft hektischen Verteilungen ist das unsere einzige Verbindung um miteinander zu kommunizieren.


Das Wetter ist nicht besser als wir aus der Bahn aussteigen. Es kommt mir noch kälter vor. Dann trennen sich unsere Wege. Ich muss zu meinem Bus und sie in eine andere Bahn. Sie hält mir die Hand hin aber ich habe einfach das Bedürfnis sie zu umarmen. Ich verspreche ihr noch per Mail die nächsten Verteilungstermine zu nennen und sie wünscht mir frohe Weihnachten.
Ich spanne meinen Schirm auf und mache mich auf den Weg.

….Leise rieselt der Schnee….