Hierarchie der Armut – von unten nach ganz unten

Wir knien vor dem Allerheiligsten und bitten Gott darum, dass er uns die Personen zuführe, die von uns berührt werden sollen. Wir bitten um die Fürsprache der Mutter Gottes für unsere Anliegen.

Dann stiefeln wir los zum Drop Inn, einem Konsumraum am Hauptbahnhof wo offen Drogen konsumiert werden dürfen.

Es ist bereits dunkel und die ungemütliche Kälte kriecht in die Kleidung. Besonders heute, am Anfang des Monats, herrscht reges Treiben auf der grünen Wiese vor dem Gebäude. Überall flackern Feuerzeuge auf, um die Drogen zu konsumieren. Wir stellen uns an den Rand der Wiese (und irgendwie auch an den Rand der Gesellschaft) auf einen gepflasterten Platz. Ein Platz voller Ab-fälle. von Müll, Drogen, geplatzten Träumen und traurigen Seelen. Abgefallen von der Gesellschaft – wie Steine aus einer Mauer- liegen die Menschen vor uns.

Der Geruch von Urin kommt mir heute stärker vor als sonst und ich versuche ihn krampfhaft zu ignorieren, was mir aber nicht wirklich gelingt. Ich trete einen Schritt zur Seite und muss aufpassen nicht in Exkremente zu treten. Keine Ahnung warum mir der mittlerweile „vertraute“ Platz gerade heute so viel abverlangt.

Symbolbild Canva

Wir holen unsere Rosenkränze aus den Jacken und bringen Gott noch einmal unsere Anliegen vor.

Großer Gott, Jesus Christus, bitte hilf diesen armen Menschen. Schenke Ihnen Heil, Mut und Zuversicht. Hilf Ihnen mit Deiner Hilfe aus diesem Elend herauszukommen.

Ewiger Vater ich opfere Dir auf, den Leib und das Blut, die Seele und die Gottheit Deines über alles geliebten Sohnes, unseres Herrn Jesus Christus. Zur Sühne für unsere Sünden und für die Sünden der ganzen Welt.

Ein Schrei gellt über den Platz. Die Suchtkranken sind gierig und schreien sich an. Am Anfang des Monats landen die Transferzahlungen in großen Teilen in gestrecktes Crack. Ein Tauschhandel mit dem Teufel. Aufgekochtes Kokain, dass zwar nicht körperlich, jedoch massiv psychisch abhängig macht. Kleine weiß rosa Kügelchen die in Pfeifen geraucht werden. Ein kurzer Rausch von 3 Minuten der alle Endorphine im Körper auf einmal mobilisiert. Umso schlimmer ist der Absturz, wenn der Rausch nachlässt. Um die daraus folgenden tiefen Depressionen zu vermeiden, die alle Süchtigen fürchten, kriechen sie auf den Boden herum und hoffen noch Krümel von dem weiß rosa Teufelszeug zu finden.

Durch sein schmerzhaftes Leiden, habe Erbarmen mit uns und mit der ganzen Welt.

Die Dunkelheit ist unser Gegner. Wir werden in der physischen Welt nicht wahrgenommen. Die Rosenkränze in unseren Händen unscheinbar -und dennoch ein großes Werkzeug für die unsichtbare Welt! Züge rattern laut an uns vorbei und unser Beten wird übertönt. Gott scheint der einzige Zuhörer zu sein.

Durch sein schmerzhaftes Leiden, habe Erbarmen mit uns und mit der ganzen Welt.

Im Frühjahr und den Sommermonaten ist die Sichtbarkeit auf unsere Seite. Wir werden wahrgenommen und kommen mit den Süchtigen Menschen ins Gespräch, verteilen wundertätige Medaillen, beten und Segnen die Leute.

Durch sein schmerzhaftes Leiden, habe Erbarmen mit uns und mit der ganzen Welt.

Die Dunkelheit schlägt auch auf mein Gemüt. Während die Perlen des Rosenkranzes durch meine Finger gleiten, lasse ich den Blick über die Wiese schweifen in der Hoffnung ein „vertrautes“ Gesicht zu erkennen. Doch die Dunkelheit ist erbarmungslos und meine Augen erkennen nur Kapuzenpullis die tief in die Gesichter gezogen sind. Suchtranke Menschen hocken in Grüppchen auf dem Rasen und reichen sich die Utensilien.

Heiliger Gott, heiliger Starker Gott, heiliger Unsterblicher Gott. Habe Erbarmen mit uns und mit der ganzen Welt.

Heute spüre ich diese Rastlosigkeit und Hektik besonders. Der Uringeruch weht weiterhin erbarmungslos in unsere Richtung. Hinter uns gehen zwei ausgehungerte Gestalten für die wir jedoch unsichtbar sind. Ihnen ist klar, dass wir keine Dealer sind, die Drogen verticken. Und doch dealen, ja kämpfen wir um ihre Seelen.

O Blut und Wasser aus dem Herzen Jesu als Quelle der Barmherzigkeit für uns entströmt. Jesus ich vertraue auf dich.

Wir stecken unsere Rosenkränze wieder in unsere Jacken, bitten die Heiligen um Fürsprache und gehen wieder in die sichtbare, durch Straßenlaternen, beleuchtete Welt. Nächste Woche werden wir wieder kommen und den Barmherzigkeitsrosenkranz beten.